Interview mit Prof. Dr. Nils Finger, Professor of Supply Chain Management an der CBS International Business School

17.04.2024

Auch die Logistik bleibt vor den Herausforderungen des Fachkräftemangels nicht verschont. Um zu erfahren, was Unternehmen tun können, um die Arbeit in der Logistik attraktiver zu machen und welche Recruitingmaßnahmen zum Erfolg führen, haben wir mit einem Experten zu diesem Thema gesprochen. Als Professor für Supply Chain Management an der CBS International Business School bildet Prof. Dr. Nils Finger die jungen Talente des logistischen Wirtschaftsbereichs von morgen aus und weiß genau, worauf es ankommt, um junge Menschen für einen Beruf in der Logistik zu begeistern.

Redaktion: Guten Tag Herr Prof Dr. Finger, wir freuen uns, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit uns zu sprechen. Denken Sie, die Anstrengungen des Wirtschaftsbereiches Logistik gegen den Fachkräftemangel sind ausreichend? Wo sehen Sie Optimierungsbedarf?

Prof. Dr. Nils Finger: Zwar gab es in den letzten Jahren einige positive Entwicklungen und man findet mitunter viele hoffnungsverheißende Einzelpraktiken, jedoch sind die Anstrengungen des Wirtschaftsbereichs insgesamt noch nicht ausreichend. Zumal das Problem in den nächsten Jahren noch deutlich größer werden wird. Die Lösung des Fachkräftemangels ist sehr komplex und ergo ist eine vielschichtige und konzeptionelle Herangehensweise notwendig. Einige wichtige Bausteine eines gesamtheitlichen Ansatzes möchte ich gerne näher erläutern.

Zum einen sollte bereits in der Recruitingstrategie das Potential aller Diversitätsdimensionen stärker ausgeschöpft werden. Maßnahmen wie internationales Recruitment werden noch viel zu wenig berücksichtigt. Zum anderen sollte schon frühst- und größtmöglich in junge Talente investiert werden. Das ist unter anderem durch Kooperationen mit Hochschulen im Bereich des dualen und praxisnahen Studiums möglich. Ein weiterer wichtiger Punkt, um die Arbeit in der Logistik für Bewerber attraktiver zu machen, ist die Verbesserung des Images und der tatsächlichen Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Jobprofilen rund um die Logistik. Dazu gehören flexiblere Arbeitsmodelle (soweit operativ abbildbar) oder auch – sehr wichtig – attraktive Weiterbildungsprogramme, die kontinuierlich die Belegschaft motivieren und zukünftig relevante Skillsets ausbilden, wie zum Beispiel in puncto KI. Nicht zuletzt sollte das Investment in die digitale Transformation und hierbei vor allem in Robotik und Automatisierung forciert werden, um insgesamt den Bedarf an Arbeitskraft zu reduzieren. Nebenbei stärkt man hiermit auch den eben genannten Punkt der Jobattraktivität.

Das Problem des Fachkräftemangels ist ein sehr dynamisches Themenfeld mit ständig neuen Anforderungen und neuen Wettbewerbsangeboten – unter anderem auch aus weiteren Branchen. In puncto Optimierungsbedarf empfehle ich daher Unternehmen kontinuierlich neue Trends und Lösungsansätze, gerne auch aus anderen Branchen, zu analysieren und entsprechend durchgehend die eigenen Ansätze zu hinterfragen und die eigene Personalstrategie entsprechend anzupassen.

Redaktion: Wie können mehr junge Menschen für einen Job in der Logistik begeistert werden?

Prof. Dr. Nils Finger: Zum einen natürlich mit den von mir eben vorgestellten Möglichkeiten, zum anderen existieren viele wirkungsvolle und erprobte Maßnahmen, die vor allem junge Talente inspirieren und in der Logistik binden. Diese müssen jedoch aktiv und nachhaltig umgesetzt werden, denn am schlimmsten sind in diesem Kontext falsche Versprechen. In ein solches integriertes Konzept gehören unter anderem attraktive Angebote für Schülerinnen und Schüler, die ihnen Logistik „zum Anfassen“ bieten. Anlässe wie der Tag der Logistik sind dafür bestens geeignet. Des Weiteren sind Transparenz und Aufklärung vor allem durch Social Media wichtig. Man muss die junge Generation in Ihren Plattformen ansprechen und hier beispielsweise Mehrwerte einer Arbeit in der Logistik aufzeigen – idealerweise mit spannenden Beispielprojekten und gerne auch mit Humor. Wichtige Beispiele, die zur Logistik passen und sich mit den Werten vieler „Gen Z‘ler“ decken, sind Jobsicherheit, Arbeit mit Technologien, Praxisnähe, Flexibilität, Internationalität, Nachhaltigkeit (hierin auch wichtige Themen wie Purpose und Impact!) oder die vielfältigen Karrierechancen innerhalb der Logistik in allen Unternehmensbereichen von Personalführung bis Data Science.

Nicht zuletzt ist auch das Thema Gehalt wichtig. Viele Unternehmen in der Logistik haben hier aufgrund ihres Geschäftsmodells nicht die Margen und Möglichkeiten wie andere Industrien und verlieren somit in diesem Punkt häufig im Wettbewerb. Jedoch kann eine konsequente Digitalisierung, zum Beispiel mit Robotic Process Automation, nicht nur die Arbeit noch attraktiver machen, sondern auch die Produktivität im Unternehmen weiter steigern, wodurch im Endeffekt auch mehr Personalbudget zur Verfügung gestellt werden kann.

Zudem sollte man bei diesem Thema, wie auch generell bei modernen Herausforderungen, auf ein starkes Netzwerk und Partnerschaften bauen. Die Wirtschaftsmacher-Initiative wie auch andere starke Verbände wie die Bundesvereinigung Logistik sind hierfür tolle Beispiele, die viel bewirken können und immer Mitmacher suchen.

Redaktion: Warum lohnt es sich für einen jungen Menschen, der kurz vor dem Schulabschluss steht, sich mit den beruflichen Perspektiven in der Logistik zu beschäftigen?

Prof. Dr. Nils Finger: Andersrum gefragt: Was spricht faktisch dagegen? Wir vertreten einen sehr vielseitigen Wirtschaftsbereich mit vielen und teilweise bereits erwähnten Vorteilen. Ich glaube, wir müssen uns in der Logistik nicht verstecken und unsere Vorteile mitunter nur stärker in den Vordergrund rücken bzw. besser zielgruppengerecht kommunizieren. Neben der Vielfältigkeit, die wirklich für jedes Profil und Talent Berufspfade bietet, ist in der Logistik viel zu tun und die Unternehmen suchen dauerhaft Anpacker, um beispielsweise die Digitalisierung und Internationalisierung weiterzutreiben. Nicht zuletzt haben die Krisen der letzten Jahre gezeigt, wie wichtig Lieferkettenmanagement insgesamt für die Wirtschaft und Gesellschaft ist. Und auch die entsprechenden Themen Resilienz und Risikomanagement scheinen viele junge Menschen persönlich stark zu interessieren.

Redaktion: Wie sehen die Schwerpunkte im Studium bzw. in der Ausbildung aus? Welchen Einfluss hat bzw. welchen Stellenwert nimmt das Thema Digitalisierung in der heutigen Ausbildung ein? Sind Themen wie KI schon ein Bestandteil des Lehrplans?  

Prof. Dr. Nils Finger: Hier gibt es ein heterogenes Bild entlang der unterschiedlichen Bildungsanbieter. Aber ich freue mich auch in diesem Bereich über die insgesamt tollen Weiterentwicklungen der letzten Jahre, die dazu beitragen, den Wirtschaftsbereich Logistik noch attraktiver zu machen. Neben klassischen betriebswirtschaftlichen Skills und fachspezifischen Logistikinhalten sind meines Erachtens heutzutage vor allem drei Querschnittsthemen essenziell und in vielen Angeboten verankert: Nachhaltigkeit, ganzheitliches Supply Chain Management inkl. Risiko-Management sowie Technologiemanagement (z.B. in puncto Software).

Natürlich muss in modernen Ausbildungen der Umgang mit Technologien wie KI oder auch beispielsweise IoT und 3D-Druck vermittelt werden. Ich kann hier natürlich vor allem für die CBS sprechen. Wir haben einen starken Employability-Fokus und den Anspruch, unsere Studierenden für die Arbeitswelt von morgen vorzubereiten. Ergo wird in diversen Vorlesungen aktiv mit KI gearbeitet, weil wir dieses Tool als einen wichtigen Baustein für das Skillset zukünftiger Logistiker und Betriebswirtschaftler sehen.

Redaktion: Vielen Dank für das interessante Gespräch und die wertvollen Tipps, Herr Prof. Dr. Finger.

 

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